Bericht Nummer 447 - 01. April 2018 | Drucken |

 

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1969 – Kinshasa 7. & 8. September
«Levé de Deuil» in Kivunda (Territoire de Madimba)

Dank Schreibmaschine sind Kopien meiner Berichte aus der Zeit noch vorhanden. Hier der «O-Ton» über ein unvergessliches Wochenende, das wir weitab von Kinshasa in der Brousse erlebten, geschrieben noch unter dem Eindruck des Geschehenen:

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Die grosse Familie der Kiwunda hat uns in ihr Dorf eingeladen, um an den Feierlichkeiten zur Aufhebung der Trauer (Levé de Deuil) teil zu haben. Der Chef des Dorfes, Wunda, war vor über zwei Jahren gestorben. Während dieser Zeit hat man um ihn getrauert. Nachdem genügend Geld angespart wurde, um das Levé de Deuil zu begehen, konnte das Fest über die Bühne gehen.

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Um zum Video zu gelangen auf das Bild oder hier klicken.

Gegen vier Uhr nachmittags nahmen wir den Weg nach dem rund 150km entfernten Madimba – auf der Hauptstrasse nach Matadi – in Angriff. Beim Einnachten bogen wir von der geteerten Hauptstrasse ab, um noch gut 35km in der Brousse zurück zu legen. Gegen sieben Uhr, in völliger Dunkelheit, trafen wir in Kiwunda ein, einem kleinen Brousse-Dorf.

Für das Fest war alles gerüstet, ein gute Dutzend Feuer brannten, um die sich viel Volk scharte. Wir wurden von den Dorfältesten ehrerbietig begrüsst. Sofort wurde für uns «Mundele» (Fremde/Weisse) ein neues Feuer entfacht, Stühle aufgetrieben – gar ein Tisch – damit es uns an nichts fehle.

Das eigentliche Fest konnte noch nicht beginnen, da die geladenen Gäste aus Kinshasa, die mit drei Lastwagen unterwegs waren, noch nicht eingetroffen waren. Beim Palmwein und Zuckerrohrsaft liessen wir die Zeit vergehen. Es war ordentlich frisch und wir waren froh über die mitgebrachten Pullover und über das Feuer, das schön wärmte (der Palmwein tat sein Übriges…….!)

Wink Smile Laughing

Um die verschiedenen Feuer sassen Gruppen von Einheimischen, die eifrig diskutierten und schwatzten. - Es war eine kalte, sternenklare Nacht. Plötzlich ertönten erste Tam-Tam, begleitet vom wehklagenden Ton verschieden gestimmter Elfenbein- und Holzhörnern. Die schrillen Schreie der Frauen und rhythmisches Händeklatschen animierten die Männer, zu tanzen. Bald bildete sich ein Kreis um das Feuer von Männern, die sich in langsamen Tanzschritten, bizarre Schatten auf die Umstehenden werfend, darum herum bewegten.

Bald suchte eine andere Tam-Tam-Gruppe mit noch wilderen Rhythmen die Gunst der Tanzenden zu erlangen. Es fehlen mir die Worte, ein solches Erlebnis zu schildern, die Stimmung, die vielen Feuer, deren Rauch, die Geräusche, der Geruch, die Nacht zusammen mit der Musik der Trommeln, die man nicht nur hört sondern auch spürt, erlebt.

Der «Fortschritt» macht aber auch in der Brousse nicht Halt. Die «Air Manseke Mine» hat inzwischen ihre Installation aufgestellt, einen alten Grammophon mit Verstärker, gespiesen von Autobatterien. Bald schon schepperte aus grossen, trichterförmigen Lautsprechern moderne kongolesische Tanzmusik und übertönte die Trommel- und Hörner-Musik. Die Jungen verliessen die traditionellen Musiker und begannen, sich im Takt der Plattenmusik zu wiegen. Dieses Wort drückt am Ehesten aus, wie hier getanzt wird. Die ganze Nacht hindurch kam der arme Tourne-Disque nicht mehr zur Ruhe.

Als Zwischenverpflegung wurde uns ein über dem Feuer gebratener, gut gewürzter Fisch angeboten (vom Geschmack und Geruch will ich nichts sagen), der uns der angediehenen Gastfreundschaft willen verzehrt werden musste.

Während die Unentwegten weiterhin tanzten, hatte sich das Bild um die verschiedenen Feuer wesentlich geändert. Vor allem die Kinder, aber auch einige Alte, hatten sich schlafen gelegt. Eng aneinander geschmiegt, gut in ihre Pagne eingewickelt, die Füsse beinahe im Feuer, konnte sie der grösste Lärm nicht mehr wecken.

Im Morgengrauen machte man sich bereit, um die zur Aufhebung der Trauer nötigen Handlungen zu vollziehen. Die nächsten Verwandten des Verstorbenen hatten sich während der Trauerzeit nicht mehr gewaschen und ihre Kleider nicht mehr gewechselt, wurde uns erklärt. Nachdem die Sonne über den dicht bewaldeten Hügeln aufgegangen war, begab man sich zum nahen Bach zur Waschungszeremonie. Nachdem die Vorfahren aufgerufen wurden und nach einigen gedenkenden Worten, wuschen sich die Bewohner des Dorfes und deren Gäste, Frauen und Männer getrennt, um sich nachher neu einzukleiden. Dabei kleideten sich die Frauen alle einheitlich. Nach der Zeremonie wurde mit selbstgebastelten Vorderladern einige Schüsse abgegeben, um der Freude Ausdruck zu geben.

Im Dorf nahm das Fest seinen weiteren Lauf. Wir «Mundele» benutzten die Gelegenheit, um Aufnahmen zu machen und nicht zuletzt, um sich ein wenig aus zu ruhen. Gegen Mittag, als die sengende Sonne in ihrem Zenit stand, machte man sich auf den Weg zum Friedhof, der sich gut einen Kilometer vom Dorf weg befindet, in Einerkolonne durch den dürren Busch. Dort angekommen, versammelte man sich um das Grab des grossen Chefs Wundu. Einer der Ältesten hielt Zwiesprache mit dem Verstorbenen, die Trommeln dröhnten, die Elfenbein- und Holzhörner wurden geblasen. Senkrecht über uns die Sonne, beinahe unerträgliche Hitze. Wie ein besessener begann nun ein naher Verwandter des Toten um das Grab zu tanzen, wilde Schreie ausstossend. Vor dem Grab warf er sich zu Boden und wälzte sich wie ein Irrer im Staub, bis er erschöpft liegen blieb. Nun begann eine dicke Mama in einem hüpfenden Tanzschritt, eigenartige Laute ausstossend, um das Grab zu gehen. Eine andere Frau begann einen ganz andersartigen, eher fröhlichen Tanz und stiess dabei schrille Schreie aus. Die nächsten Verwandten knieten vor dem Grab.

Der Dorfälteste hielt nun eine Ansprache, von Zeit zu Zeit wurde mit dem «Bumpu» (Vorderlader) in die Luft geschossen. Wie in Trance führte die dicke Mama ihren Tanz weiter, hüpfend, den Kopf wiegend, schreiend, bis sie zusammen brach. Niemand schenkte ihr weiter Beachtung, da schien zum Zeremoniell zu gehören.

Ein anderes Mädchen in unserer Nähe brach zusammen. Wir wurden beinahe ausgelacht, als wir uns um sie kümmern wollten. Uns wurde erklärt, dass sie ebenfalls in Ekstase gefallen und dadurch ohnmächtig geworden sei.

Das Zeichen zum Aufbruch gab die dicke Mama, die zuvor bewusstlos vor dem Grab lag, indem sie plötzlich schreiend aufschoss und rennend dem Dorf zueilte. Dort ging das Fest weiter. Unaufhörlich wurde getanzt, wobei sich vor allem die Kinder hervor getan haben. Es ist urkomisch zu sehen, wie die Allerkleinsten es den Grossen schon nachtun wollen.

In der Zwischenzeit war das Fleisch eines ganzen Ochsen für die ca. 200 Gäste zubereitet worden das mit Fufu (Maniokbrei) verteilt wurde. - Für uns Zeit, uns zu verabschieden und zurück nach Kinshasa zu kehren.